Der ÖPNV ist ein wichtiger Bestandteil der Verkehrswende. Statistiken zeigen, dass Busse und Bahnen auch in Zeiten von Corona ein sicheres und umweltschonendes Verkehrsmittel bleiben. Doch wie können Verkehrsbetriebe auch weiterhin für Sicherheit im ÖPNV sorgen?
Elisabeth Oberzaucher ist renommierte Verhaltensbiologin an der Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien. Das von ihr gegründete Forschungsinstitut Urban Human beschäftigt sich mit Mobilitätsforschung im angewandten Bereich und der Beratung von Verkehrsunternehmen. Dabei versucht sie die Brücke von der Grundlagenforschung bis hin zu Lösungen fürs alltägliche Leben zu schlagen. Clemens Deyerling ist Gründer von omobi, ein Startup, das seit dem 1. Juli digitale Rufbusse in der Kommune Murnau betreibt und somit 20.000 Einwohner mit digitaler Mobilität versorgt.
Gemeinsamen diskutierten Elisabeth und Clemens im Rahmen unseres Lab4Mobility-Webinars „Zurück in den Alltag: Sicherheit im ÖPNV und die Rolle neuer Rufbus-Konzepte” die Wichtigkeit des Nahverkehrs in Zeiten der Krise. Lesen Sie hier einen kurzen Ausschnitt nach und folgen Sie weiter unten dem Link zum vollständigen Mitschnitt des Webinars.
Die Krise als Chance für mehr Mobilität
Elisabeth, aus deiner Sicht als Verhaltensbiologin: Warum gab es so eine Veränderung in der Mobilität?
Elisabeth: Eine Krise ist nie etwas Lustiges. Eine Krise bedeutet aber auch gleichzeitig, dass wir aus unseren gewohnten Bahnen rausgeworfen werden und die Chance haben, neue Wege einzuschlagen. Die Kraft aufzubringen und etwas Neues zu tun, ist viel schwieriger, wenn man in eingefahren Bahnen unterwegs ist als in einer Situation, wie wir sie jetzt haben. Wir haben die Chance, Mobilität jetzt in eine Richtung zu lenken, die auch im Lichte der Klimakrise eine nachhaltige und zukunftsweisende ist.
Zur Frage, warum der ÖPNV so besonders betroffen war: Mit Lockdown-Maßnahmen hat die Mobilität insgesamt ganz stark abgenommen. Das ist vor allem dem geschuldet, dass die Menschen auf einmal weniger Grund hatten, mobil zu sein — Home Office, reduzierte Freizeitaktivitäten…
Clemens, Warum habt ihr euch entschieden in der Pandemie ein neues Angebot einzuführen?
Clemens: In Sachen Mobilität hat sich in meiner Heimat Murnau in den letzten zehn Jahren nicht viel verändert. Wir durften bereits viele andere innovative Mobilitätskonzepte in Großstädten kennenlernen und haben uns die Frage gestellt, was das alles eigentlich für die Mobilität auf dem Land bedeutet. Wir sind zum Entschluss gekommen, dass man mit den Möglichkeiten die man jetzt hat, die Mobilität insbesondere auf dem Land komplett neu denken muss.
„Digitaler Nahverkehr auf dem Land kommt einer Revolution gleich.”
Im Schulterschluss mit der Gemeinde Murnau haben wir ein Konzept geschrieben, was den Gemeinderat überzeugt hat — etwas, das hier im südlichen Bayern schwierig ist, zweistimmig hinzubekommen. Wir haben eine Ausschreibung hinter uns und die erste Konzession in Oberbayern, die so vergeben wurde. Es ging uns also auch schon vor der Pandemie darum, alte Strukturen aufzubrechen, um überhaupt Mobilität auf dem Land wieder herzustellen.
Geringes Ansteckungsrisiko: Sicherheit im ÖPNV
Bisher reichen die Fakten anscheinend nicht aus, um das Image „Virenschleuder ÖPNV“ aus der Öffentlichkeit zu bekommen. Wie können Verkehrsbetriebe auch weiterhin für Sicherheit im ÖPNV sorgen?
Elisabeth: Es gibt mehrere Studien aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Japan und den USA, die sich ganz genau angeschaut haben, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, sich im ÖPNV anzustecken. Diese Studien haben heraus gefunden, dass eine nachweisbare Wahrscheinlichkeit sich anzustecken nur gegeben ist, wenn man neben einer Person sitzt, die Covid-19 hat. Diese ist sehr gering und liegt bei nur 3,5%.
Hat sich das Image-Problem in der Corona Zeit verschleppt?
Elisabeth: Wer reagiert empfindlich auf das Infektionsrisiko? Menschen die eh schon kein Fan von der Nutzung des ÖPNVs sind und es auch vorher nicht waren. Passionierte AutofahrerInnen haben jetzt noch einen Grund mehr ins Auto zu steigen. Umgekehrt formuliert: Aufgrund der Maßnahmen und des veränderten Verhaltens der Fahrgäste ist der Nahverkehr sicherer denn je.
„Es ist sicher im öffentlichen Nahverkehr unterwegs zu sein, vor allem wenn wir uns an die Maßnahmen halten.”
Neue Mobilität auch in schwierigen Zeiten
Habt ihr für den Murnauer Ortsbus besondere Maßnahmen im Rahmen von Corona ergriffen?
Clemens: Wir haben die Auftragserteilung kurz vor dem Lockdown bekommen und der Starttermin war dann schon ein paar Monate später, am 1. Juli. Für uns war es keine Option, den Betriebsstart zu verschieben. Mit den durch Corona verursachten Umständen mussten wir uns also von Anfang an beschäftigen. Es gab für uns zwei Antriebsfedern: Zum einen haben wir uns erhofft, dass wir mit einem starken Angebot trotz Corona auf die gewünschten Zahlen kommen.
Zum anderen mussten wir alles Erdenkliche möglich machen, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren und das Sicherheitsgefühl gewährleisten zu können. Hier haben wir natürlich einen erheblichen Vorteil gegenüber anderen Verkehrsunternehmen, die mit großen Linienbussen unterwegs sind. Wir bieten bargeldlose Zahlung und App-Buchungen an, die Fahrzeuge haben automatische Türen und werden regelmäßig desinfiziert und gelüftet.
Es gab auch von Anfang an eine Masken-Pflicht und wir können Abstände gewährleisten. Unsere größte Angst war viel mehr: Wie verhalten sich die Leute? Dazu gehörte auf jeden Fall auch eine gesunde Portion Optimismus.
„Corona ist nur das I-Tüpfelchen des schlechten Rufs des ÖPNV und kann auch eine große Chance sein.”
Auch in Zukunft ein sicherer ÖPNV
War euer Optimismus nötig, um einen neuen ÖPNV zu etablieren und deutlich zu machen, dass es nach vorne gehen muss?
Clemens: Optimismus brauchte es vor allem in Hinblick auf die ländlichen politischen Strukturen und sehr festgefahrene Monopolstellungen im öffentlichen Nahverkehr deutschlandweit und ganz besonders bei uns in Bayern. Da war auf jeden Fall ein gewisser Spirit gefragt, mutige Politiker zu finden, die Idee zu pflanzen und diese Hand in Hand gemeinsam voranzutreiben.
Bei der Bevölkerung selber war es die größte Herausforderungen, ihnen beizubringen, was wirklich durch das neue Angebot möglich wird. Für die meisten ist es etwas, was bisher unvorstellbar war.
Wie knacken wir auch solche Nüsse?
Elisabeth: Die Politik bereitet mir am meisten Kopfschmerzen. Vor allem in Deutschland. Im Jahr 2019 wurde gesagt man sei gut angebunden, wenn man einen Autobahnanschluss in der Nähe hat. Doch gut angebunden ist man dann, wenn man einen guten öffentlichen Verkehr anbieten kann. Das muss in die Köpfe rein. Es besteht die Angst davor, dass die Autoindustrie nicht mehr so stark ist, wie sie mal war.
Wichtig ist es, ein gesamtheitliches Konzept zu entwickeln. Einzelne Mobilitätsformen sollen sich nicht gegeneinander ausspielen. Aktuell ist es sehr konfliktbeladen. Wir sind im Prinzip zu regelkonform, gerade im deutschsprachigen Raum brauchen wir für alles eine Vorschrift. Im Sinne einer Menschenbildung wäre es wünschenswert, dass wir im Verkehrswesen wieder eine Deregulation anstreben und die unterschiedlichen Verkehrsmodalitäten auf Augenhöhe bringen.
Es sollte um Ergänzung statt Feinde im Straßenverkehr gehen. Unterschiedliche Modalitäten sollten so gut miteinander verknüpft werden, dass sie sich ergänzen und die Mobilitatsbedürfnisse der Menschen befriedigt werden können — mit einem insgesamt möglichst kleinen Fußabdruck.
Erfahren Sie mehr zum Thema Sicherheit im ÖPNV in der Aufzeichnung des Gespräch von unserem Lab4Mobility Webinar am 24. September an.
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