Veröffentlicht am 9. Juli 2020

Das derzeit geltende Personenbeförderungsgesetz entstammt dem analogen Zeitalter. Daher sind viele der neuen Mobilitätsangebote wie das gewerbliche Ridepooling dem bisherigen PBefG unbekannt. door2door Geschäftsführer Tom Kirschbaum klärt über die neuen gesetzlichen Änderungen und den Handlungsbedarf in den Kommunen auf.

Das neue Personenbeförderungsgesetz (PBefG) kann Rechtssicherheit schaffen für innovative, digitale Mobilitätsangebote, welche das Potential zum Erreichen einer nachhaltigen, attraktiven Verkehrswende haben. Kommunen, kommunale Verkehrsunternehmen und das Taxigewerbe als die lokalen Matadore öffentlichen Verkehrs dürfen auf Basis des neuen PBefG — so es denn gelingt — neue Angebote verlässlich in den Markt bringen. Sie können dies mit Vehemenz tun, weil politisch die Stimmung und die Handlungsbereitschaft dafür gegeben sind — die Zeit ist reif. Sie können es auch deshalb tun, weil immense Fördermittel für Einführung und Skalierung der Angebote bereitgestellt werden. Und schließlich: sie müssen auch handeln und dürfen keine Zeit verlieren, denn viele Anbieter, nicht zuletzt aus Nordamerika und Asien, stehen in den Startlöchern, ein liberaleres Recht für einen wuchtigen Markteintritt zu nutzen. Deshalb sollten sich die Matadore darauf konzentrieren, eigene Angebote vorzubereiten statt Wettbewerb im Gesetz verhindern zu wollen.

Ein analoges Gesetz im digitalen Zeitalter

Das derzeit geltende PBefG entstammt dem analogen Zeitalter. Daher sind viele der neuen Mobilitätsangebote wie das gewerbliche Ridepooling dem bisherigen PBefG unbekannt. Der aktuelle Rechtsrahmen erlaubt die Einführung neuer Mobilitätskonzepte in Deutschland nur bedingt. Eine Genehmigung solcher Dienste nach geltendem Recht ist zwar möglich, stellt aber die lokalen Genehmigungsbehörden und Antragsteller vor große Herausforderungen. Eine einheitliche Genehmigungspraxis sucht man in Deutschland vergebens.
Die Bundesregierung hat den Handlungsbedarf erkannt und eine entsprechende Novellierung des Personenbeförderungsrechts bereits im Koalitionsvertrag angekündigt:

„Wir werden das Personenbeförderungsrecht modernisieren und die Rahmenbedingungen für den öffentlichen Verkehr und neue Bedienformen im Bereich geteilter Nutzungen (Ride Pooling) an die sich ändernden Mobilitätsbedürfnisse der Menschen und neue technischen Entwicklungen anpassen. Neue plattformbasierte digitale Mobilitätsangebote brauchen eine rechtssichere Grundlage für ihre Zulassung. Dabei achten wir darauf, dass ein fairer Ausgleich (level playing field) zwischen den unterschiedlichen Beförderungsformen gewahrt bleibt. Kommunen müssen entsprechende Steuerungsmöglichkeiten erhalten.”

Nun haben sich die Koalitionsparteien endlich auf einen Kompromiss zur Novellierung des PBefG verständigt, um noch in dieser Legislaturperiode eine rechtssichere Genehmigungsgrundlage für digitale Angebote und Geschäftsmodelle zu schaffen. Die eigens eingesetzte parteiübergreifende Findungskommission aus Bund und Ländern hat das zweite, auf dem Koalitionskompromiss basierende Eckpunktepapier finalisiert. Der Gesetzgebungsprozess wurde angestoßen und ein Referentenentwurf ist in Vorbereitung. Die Beschlusspunkte sind Ziel harscher öffentlicher Kritik. Private Anbieter, insbesondere Plattformanbieter aus dem Ausland und Mobilitätstöchter großer Automobilkonzerne, fordern eine weitergehende Öffnung des Gesetzes für ihre Geschäftsfelder.

Der Ruf nach weiteren Lockerungen im Namen von Innovation greift zu kurz und ist wenig zielführend, wenn man sich an die Rechtshistorie des PBefG und seine originären Aufgaben erinnert: Das oft verteufelte PBefG hat zur Ratio, , also Verkehrsdienstleistungen so zu regeln, dass eine Teilhabe für jedermann sichergestellt ist und dabei auch Aspekte der Sicherheit, Nachhaltigkeit sowie verkehrliche Aspekte Berücksichtigung finden. Die aktuellen Eckpunkte der Novelle folgen dem Geiste des PBefG. Sie bewahren die bewährten Schutz- und Abwehrrechte des ÖPNV und garantieren somit für jeden zugängliche und erschwingliche Mobilität und die Berücksichtigung verkehrlicher und somit auch ökologischer Aspekte. Gleichzeitig werden neue Bedienformen und digitale Angebote ermöglicht und auf eine rechtssichere Grundlage gestellt. Man kann es dabei nicht deutlich genug sagen: In Zeiten des Klimawandels und immenser Überlastung der öffentlichen Infrastruktur durch den Individualverkehr ist es mehr denn je geboten, dass öffentliche Ziele das Primat von Mobilität sind.Die einstigen Ziele des PBefG, so angestaubt die Werkzeuge im Lichte der Digitalisierung wirken mögen, sind gültiger denn je. Also bitte erst einmal durchatmen, bevor leichtfertig einem überkommenen System der Garaus gemacht wird.

Handelsblatt Artikel

Tom Kirschbaum spricht im Artikel „Kampf um den Taximarkt” im Handelsblatt über die Ergänzung des klassischen Linienverkehrs durch Ridepooling.

Genehmigung für Ridepooling

Ganz wichtig: Mit der Novelle werden Genehmigungstatbestände für Ridepooling geschaffen. Die Genehmigung dieser Verkehre wird dadurch bundeseinheitlich geregelt. Interpretationsspielräume der einzelnen Genehmigungsbehörden werden geschlossen und der Genehmigungsflickenteppich wird aufgelöst.
Hierbei wird zwischen öffentlichen und privaten Ridepooling-Diensten unterschieden. ÖPNV-Ridepooling soll auch ohne das Vorliegen einer starren Linienführung und eines fixen Fahrplans als Linienverkehr nach § 42 PBefG genehmigt werden. Damit unterliegen diese Verkehre den gleichen Rechten und Pflichten wie das klassische ÖPNV-Angebot. Es gelten Tarifbetriebs- und Beförderungspflicht und der reduzierte Steuersatz. Zusätzlich können diese Verkehre die Schutz- und Abwehrrechte des PBefG nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 gegen private Wettbewerber in Anspruch nehmen. Zudem wird durch die Einordnung als Linienverkehr die Finanzierung von On-Demand-Diensten im ÖPNV deutlich verbessert. Noch offen ist die Frage der tariflichen Flexibilität: Sollte ÖPNV-Pooling tariflich zu eng eingeschränkt und vor allem niedrigpreisig festgelegt sein, ist die Wirtschaftlichkeit von vornherein schwierig und besteht die Gefahr einer nicht sinnvollen Kannibalisierung des Linienverkehrs. Deshalb braucht auch vom ÖPNV betriebenes Pooling tarifliche Flexibilität.

Auch private Pooling-Dienste werden genehmigungsfähig. Sie können als Gelegenheitsverkehre konzessioniert werden. Hier werden die Kommunen in Ihrer Rolle als Gestalter und Lenker von Mobilität im öffentlichen Interesse gestärkt, indem sie Anbieter- und Fahrzeugzahl und einen Tarifkorridor festlegen können. Allerdings bleiben hier noch viele Fragen offen:
Schutzmechanismen und Stellschrauben sind noch nicht hinlänglich definiert und abschließend geregelt. Die Festlegung einer festgeschriebenen Pooling-Quote bspw. berücksichtigt nicht die Auswirkungen auf andere Kennzahlen wie Fahrzeug- und Flottenproduktivität, Auslastung oder Verfügbarkeit und wird auch den unterschiedlichen Anwendungsfeldern wie Nachtverkehr, Zu- und Abbringer oder betriebliche Mobilitätsangebote für Pendler nicht gerecht. Die Rückkehrpflicht bleibt bestehen, kann jedoch insbesondere im ländlichen Raum im Ermessensspielraum der Kommune gelockert werden, um mit privaten Angeboten ein Mindestangebot von Mobilität zu gewährleisten.

Handlungsbedarf für Kommunen

Hinsichtlich des sogenannten Taxi-Poolings, also der Frage, ob Taxi-Fahrzeuge ebenfalls einzelne Sitzplätze vergeben können, ist der Gesetzgeber aufgerufen, diese Möglichkeit klar zu schaffen. Es ist sehr sinnvoll, die vielen Tausend Taxis in Großstädten durch Pooling effizienter zu nutzen, anstatt nur an neue (zusätzliche) Fahrzeuge für Pooling-Angebote zu denken. Idealerweise wird Pooling in einem harmonischen Konzert von Verkehrsunternehmen und Taxigewerbe angeboten.

Kommunen und kommunale Verkehrsunternehmen gehen aus dieser Novelle gestärkt hervor — wenn sie die Zeichen der Zeit erkennen und den Ihnen durch den gesetzlich gewährten Vorsprung gegenüber den privaten Anbietern nutzen. Denn auch die privaten Anbieter sind nicht mehr auf zeitlich befristete Genehmigungskonstruktionen über die Experimentierklausel nach § 2 Abs. 6 PBefG beschränkt, sondern können ihre Angebote langfristig auf dem Mobilitätsmarkt etablieren und in den Wettbewerb um die Fahrgäste des ÖPNV treten. Der ÖPNV hat die Chance mit eigenen On-Demand-Diensten dieses Feld selbst zu besetzen, mit neuen Angeboten diesen Markt zu erschließen und sich so vor Kannibalisierung durch private Konkurrenten zu schützen. Dazu müssen die kommunalen Akteure, Verkehrsunternehmen und Aufgabenträger jetzt aktiv werden, eigene Angebote sinnvoll und nachhaltig planen und vorbereiten — nur so können sie im Wettbewerb der Anbieter reüssieren und Gestalter der Verkehrswende sein.

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